GRUPPENARBEIT
ZUR LEHRVERANSTALTUNG:
200085 PS Proseminar
Sozialpsychologie
WS 2006/2007
2
Stunden, 4 ECTS-Punkte
Fakultät
für Psychologie
Institut
für Sozialpsychologie
Lehrveranstaltungsleiterin:
Dr. Helga Elisabeth Schachinger
Thema:
Wien, am 10. November 2006
Autorinnen:
Doma Julia
Haidl Helene
Jakesch Cornelia
Kaczmarczyk
Agnes
Lehner Julia
Schretzmayr
Andrea
Steindl
Hanna
Inhaltsverzeichnis
I. Sozialpsychologische
Theorien aggressiven Verhaltens
1.1. Definition aggressiven
Verhaltens
1.2.
Theorien aggressiven Verhaltens
1.2.2. Das
lerntheoretische Modell von Bandura
1.2.3. Funktionen und Motive aggressiven Verhaltens: Das
Modell von Tedeschi und Felson
1.2.4. Soziale Informationsverarbeitung und
Aggressionsbereitschaft
1.3. Theorien zu aggressivem Verhalten in Gruppenkontexten
1.3.1.Extreme Formen kollektiver
Gewalt
1.4. Abschließende
Bemerkungen
2.1. Funktionen des Ärgers
2. 2. Theoretische
Aussagen zum Zusammenhang zwischen Ärger und Aggression
2.2.1. Physiologische Aktivierung
2.2.2. Handlungstendenzen
2.2.3. Problem der Differenzierung zwischen den Begriffen Ärger und
Aggression
2.3. Empirische Arbeiten zur Regulation von Ärger
2.4. Soziale Konstruktion angemessener
Ärgerregulation
3.1. Evolutionäre Psychologie
3.2 Aggression als Lösung eines adaptiven
Problems - aktuelle Theorien
3.2 Geschlechtsunterschiede
IV. Ärger – diagnostische Messverfahren
4.1. Die Diagnose von
„Ärger“
I. Sozialpsychologische
Theorien aggressiven Verhaltens
Autorin: Julia Lehner
Im folgenden Abschnitt werden
sozialpsychologische Theorien aggressiven Verhaltens vorgestellt. Die
verwendete Literatur ist: Otten,
S. & Mummendey, A. Sozialpsychologische Theorien aggressiven Verhaltens.
In: Frey, D. & Irle, M. (Hrsg.) (2002) Sozialpsychologie.
Band II: Gruppen-, Interaktions- und Lerntheorien. Huber, Bern. S.198-216
1.1. Definition
aggressiven Verhaltens
Vorab ist zu
erwähnen, dass es keine eindeutige
bzw. klare Definition von
aggressiven Verhaltens bzw. Aggression gibt. Manche Verhaltensweisen mögen im
ersten Moment „aggressiv“ erscheinen (z.B. Zerschlagen der Autoscheibe um das
Unfallopfer zu bergen), dienen jedoch dazu, schlimmeren Schaden abzuwenden. Man
kann also vom expliziten oder impliziten Einverständnis des Betroffenen
ausgehen.
Nach Baron und
Richardson (1994) ist Aggression jede Form von Verhalten das zum Ziel hat
jemanden, der diese Behandlung versucht zu vermeiden, zu schädigen. Neben dem
Erleiden von Schmerz und Schaden sind mit dieser Definition auch
die Schädigungsabsicht sowie die situative Angemessenheit des Verhaltens
für die Einordnung als Aggression entscheidend. „Aggressiv“ ist ein Wort zur
Beurteilung, das in Abhängigkeit von Perspektive und Kontext einem auftretenden
Verhalten zugeschrieben wird.
Die Erscheinungsformen von aggressivem
Verhalten sind vielfältig: sie können direkt, indirekt, physisch, verbal, aktiv
oder passiv sein (Buss, 1961). Weiters muss man unterscheiden ob der Schaden am
Opfer primär angestrebt wird (feindselige Aggression) oder es die Sekundärfolge
eines Verhaltens (instrumentelle Aggression) ist, das der Verursacher zum
Erreichen eines für ihn positiven Ziels einsetzt (Buss, 1971; Feshbach 1970).
1.2.
Theorien aggressiven Verhaltens
Die Grundlage dieser Theorie liegt
in der Frustrations-Aggressions-Hyothese von Dollard et al. (1939).
Berkowitz (1989,
1990, 1993) betont jedoch, dass Frustration nicht unmittelbar zu dem Bedürfnis
führt, einem anderen Individuum Schaden zuzufügen, sondern dass dieser Prozess
durch den emotionalen Zustand des Ärgers vermittelt wird. Nicht nur
Frustration, sondern auch andere Formen aversiver Stimulation können Ärger und
Aggression auslösen. Das Gefühl von Ärger und die Bereitschaft zu aggressivem
Verhalten treten parallel auf.
Berkowitz (1989,
1990, 1993) postuliert ein assoziatives
Netzwerk des menschlichen Gedächtnisses: gleichzeitig mit der aversiven
Stimulation werden bestimmte Gedanken, Gefühle (Furcht, Ärger) und motorische
Reaktionen (Flucht oder Aggression) aktiviert. Die Aktivierung der kognitiven,
affektiven und motorischen Reaktionen passiert automatisch. Es gibt keine
dazwischengeschaltete aufwändige Informationsverarbeitung.
Die Idee eines
assoziativen Netzwerkes beinhaltet die Tatsache, dass jeder der drei
Komponenten (kognitiv, affektiv oder motorisch) die beiden anderen Komponenten
aktivieren kann. Weiters folgt daraus, dass das Gefühl von Ärger keine
notwendige Bedingung von aggressivem Verhalten ist.
Ob eine aversive
Stimulation und der dadurch verursachte negative Affekt zu Vermeidungs- oder
aggressivem Verhalten führen, hängt nach Berkowitz (1989, 1990, 1993) von drei
Komponenten ab:
Berkowitz (1990)
nimmt an, dass die Konsequenzen einer aversiven Stimulation (Frustration,
Hitze, Kälte, Lärm, Schmerz etc.) durch einen automatisch ablaufenden
kognitiven Prozess reguliert werden können. Im nächsten Schritt kommt es zu
einer genaueren kognitiven Analyse, die eine weitere Kontrolle aggressiver
Verhaltenstendenzen erlaubt.
Der
kognitiv-neoassoziationistische Ansatz ist wesentlich breiter gefächert als die
ursprüngliche Frustrations-Aggressions-Hypothese. Statt Frustration verwendet
Berkowitz (1989, 1990, 1993) die Formulierung „aversive Stimulation“ und
schließt auch die kognitive Bewertung sowie situative Faktoren mit ein. Das
Modell kann sowohl spontan aggressives als auch geplantes aggressives Verhalten
erklären, denn es geht von parallelen einander unabhängigen Prozessen der
Verknüpfung von feindseligen Gedanken und aggressivem Verhalten sowie von
negativem Affekt und aggressivem Verhalten aus. Weiters werden kognitive
Prozesse zweiter Ordnung postuliert. Währenddessen laufen Attributionsprozesse
und Abwägungen ab, die aggressive Verhaltenstendenzen noch umformen können.
Kritisch
ist anzumerken, dass trotz der Fülle von Konzepten deren entsprechende
Bedeutung und mögliche Wechselwirkungen vom Autor weitgehend offen gelassen
werden.
1.2.2. Das
lerntheoretische Modell von Bandura
Das
Modell des sozialen Lernens (Bandura, 1973) behandelt die Frage, wie
spezifische Formen aggressiven Verhaltens erlernt werden können und unter
welchen Bedingungen sie alternativen, nicht-aggressiven Verhaltensmöglichkeiten
(nicht nur Flucht alleine) vorgezogen werden.
Das
Wesen lerntheoretischer Modelle ist, dass der Erwerb und die Ausführung von
aggressiven Verhaltensweisen den grundlegenden
Gesetzen menschlichen Lernens folgen. Verhalten (auf Grundlage eigener Erfahrung,
Beobachtung oder assoziativer Verknüpfung) das positive Konsequenzen verspricht
wird eher ausgeführt als jenes, das negative Folgen haben wird. Aggressives
Verhalten kann also über positive und negative Verstärkung gelernt werden,
indem es dem Individuum Belohnung und soziale Unterstützung verschafft oder
indem es hilft negative Erfahrungen (Schmerz, Verlust etc.) zu vermeiden.
Weitere Quellen von Verstärkern sind nach Buss (1971) z.B. soziale Gruppen und
soziale Normen.
Bandura
(1973) geht davon aus, dass auch auf Basis von Beobachtung einer Handlung und
deren Konsequenz die Aneignung von Verhalten möglich ist. In einem Experiment
von Bandura, Ross und Ross (1961, 1963) sahen die Kinder der VG Erwachsene, wie
sie eine Puppe mit einem Hammer schlugen, sie traten oder beschimpften. In der
KG beschäftigten sich die Erwachsenen ruhig mit der Puppe. Eine weitere
Variation bestand drin, dass die Erwachsenen vom Versuchsleiter belohnt wurden
oder keine sichtbaren Konsequenzen folgten. Anschließend konnten die Kinder mit
der Puppe spielen. Jene Kinder, die die aggressiven Modellpersonen und deren
Belohung sahen, zeigten weit mehr aggressive Verhaltensweisen als die Kinder
der anderen Bedingungen.
Laut
Bandura (1986) erwirbt das Kind im Laufe seines sozialen Lernens mentale
Repräsentationen, die seine Erwartungen an die Konsequenzen und den Nutzen
künftigen aggressiven Verhaltens formen. Je öfter ein Kind merkt, dass sein
aggressives Verhalten mehr Nutzen als Konsequenzen mit sich bringt, umso
häufiger wird dieses Verhalten künftig in ähnlichen Situationen wiederholt.
Während des Lernprozesses ändert sich auch die Erwartung darüber, ob das Kind
oder die Person in der Lage ist, das entsprechende Verhalten wirksam
auszuführen (Bandura, 1986).
Neben
dem Erwerb spezifischer Verhaltensweisen wird beim sozialen Lernen auch
langfristig der Erwerb sogenannter kognitiver „scripts“ angenommen. Sie können Verhalten steuern. Im Gedächtnis
festigt sich mit wachsender eigener oder beobachteter Erfahrung mit aggressivem
Verhalten und deren Konsequenzen ein elaboriertes System von kognitiven
Strukturen. Die „scripts“ steuern das Wählen und die Bewertung aggressiver oder
nicht-aggressiver Verhaltensalternativen (Abelson, 1981; Huesmann, 1988;
Huesmann & Eron, 1984; Krahé, 2000). Je ähnlicher eine Situation einer
früheren ist, in der das Individuum das „script“ erworben hat, desto
wahrscheinlicher ist es, dass das aktuelle Verhalten sich am „script“
orientieren wird.
Für
das Auftreten von Aggression haben Familie, Peers und Schule die größte
Bedeutung (Durkin, 1995).
1.2.3. Funktionen und Motive aggressiven Verhaltens:
Das Modell
von Tedeschi und Felson
Ausgangspunkt
der „Social Interactionist Theory of Coercive Action“ (SITCA) von Tedeschi und
Felson (1994) ist die Annahme, dass jedes Verhalten (also auch aggressives)
bestimmten positiv bewerteten Funktionen dient. Wie ein Ziel verfolgt wird
(positive vs. negative Verhaltensformen bzw. sozial akzeptable Methoden vs.
Ausübung von Macht, Gewalt, Zwang etc) hängt von drei Faktoren ab:
Für
die Kosten-Nutzen-Abwägung sind
außerdem individuelle moralische und normative Orientierungen und situative
Faktoren entscheidend.
Tedeschi
und Felson (1994) postulieren drei Motive für die Entscheidung zu aggressivem
Verhalten:
1. Streben
nach Macht und Kontrolle (soziale Kontrolle):
Ob Macht / Zwang / Gewalt oder aber positive (sozial
akzeptierte) Verhaltensweisen eingesetzt werden, um Kontrolle zu erlangen,
hängt davon ab wie wichtig die versuchte Einflussnahme sind und ob die Person
davor aggressives oder nicht-aggressives Verhalten als effizient erlebt hat
oder nicht. Außerdem spielt es eine Rolle welche Verhaltensalternativen der
Person zur Verfügung stehen. Kann ein Mensch z.B. durch Sprechen nichts
erreichen, wird er / sie versuchen sich durch aggressives Verhalten Gehör zu
verschaffen.
2. Streben
nach Gerechtigkeit:
Menschen werden sich aggressiv verhalten, wenn sie
glauben
Entscheidend für die Verhaltenswahl ist auch das
Verhältnis zw. den am Konflikt beteiligten Personen. In der Familie und unter
Freunden wird man eher dazu geneigt sein Gerechtigkeit auf nicht-aggressivem
Weg wiederherzustellen (z.B. durch Entschuldigung, Wiedergutmachung etc.).
3. Streben
nach eigener positiver Identität (positive Selbstdarstellung):
Auch für das Motiv sich eine positive Identität zu
schaffen sind das individuelle Repertoire und die subjektive Erfahrung mit
Verhaltensalternativen entscheidend. Dieses Motiv setzt voraus, dass sich das
Individuum in seiner positiven Selbstdarstellung bedroht oder herabgesetzt
fühlt. Empirischen Befunden zufolge ist ein hoher Selbstwert eine
aggressionsfördernde Bedingung. Es konnte gezeigt werden, dass Personen, die
sich für überlegen halten, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben das übertrieben
positive Selbstbild als bedroht anzusehen. Sie versuchen es durch Macht und
Zwang bzw. Gewalt wieder zu sichern (Baumeister, Smart & Boden, 1996).
1.2.4.
Soziale Informationsverarbeitung und Aggressionsbereitschaft
Eine
große Rolle für das Auslösen der Motive, Gerechtigkeit wiederherzustellen und
die Sicherung der positiven Identität, spielen die Prozesse der subjektiven
Wahrnehmung und Interpretation. Das Erleben von Ungerechtigkeit und
Selbstwertbedrohung setzen voraus, dass eine vorausgegangene Handlung einer
anderen Person als unangenehm und als Provokation aufgefasst worden ist.
Mummendey und Otten (1989) zeigten, dass wenn der Betroffene das Verhalten des
Akteurs unbegründet, überzogen und als Provokation auffasst, es ihn legitimiert
aggressiv auf den Akteur zu reagieren. Dieser wiederum verweist auf eine
Vorgeschichte, in der er selbst vom späteren Betroffenen provoziert wurde oder
andere Situationen vorkamen, die sein Verhalten als angemessen erscheinen
lassen. Beide sehen sich also ein Stück weit als Betroffener und reagieren
„nur“ auf den anderen. Sie empfinden ihr Verhalten als entschuldbar und nehmen
wechselseitig die Norm der Reziprozität in Anspruch (Gouldner, 1960). Dadurch
wird eine Fortsetzung oder gar eine Eskalation des Konflikts wahrscheinlich
(Mummendey & Otten, 1989).
Dodge
und Mitarbeiter (Dodge, 1986; Crick & Dodge, 1994) zeigten, dass die
unterschiedlichen Perspektiven in der Wahrnehmung und Beurteilung auch durch
individuelle Unterschiede in der sozialen Wahrnehmung geprägt werden.
In
ihrem Modell sozialer
Informationsverarbeitung zeigen sie wie durch Defizite in der Bewertung
sozialer Hinweisreize die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens steigt.
Sechs Stufen werden genannt:
Das
Modell von Dodge und Mitarbeiter kann den Ablauf aggressiver Konflikte und die
Entwicklung und Stabilisierung individueller Unterschiede in der
Aggressionsbereitschaft beschreiben und vorhersagen. Derartige Modelle darf man
allerdings nicht dahingehend interpretieren, dass sie eine prinzipielle
rationale und bewusste Verhaltensauswahl unterstellen. Informationsselektion
und –gewichtung folgen einfachen Heuristiken und können habituell ablaufen.
1.3.
Theorien zu aggressivem Verhalten in Gruppenkontexten
Die
Unterscheidung von interpersonalen und gruppalen Situationen ist von zentraler
Bedeutung wenn es um die Effekte des sozialen Kontextes geht (Brown &
Turner, 1981). Ob jemand als einzelne Person („ich“) oder als Mitglied einer
Gruppe („wir“) handelt, hat einen großen Einfluss auf das Verhalten.
Gruppenmitgliedschaften können festlegen, welche Aspekte von Identität als
relevant und verteidigungswürdig gelten und ob normative und moralische
Bedenken gegenüber der Macht- und Zwangsausübung bestehen (intragruppale
Ebene). Diverse empirische Belege (z.B. Islam & Hewstone, 1993; Mullen,
1986; Otten, Mummendey & Wenzel, 1995; Jaffe & Yinon, 1983) zeigen,
dass dem Mitglied einer anderen Gruppe eher als dem Mitglied der eigenen Gruppe
feindselige Intentionen unterstellt und eine negative Behandlung zugemutet
werden (intergruppale Ebene).
Zimbardo
(1969) geht von einer Deindividuation
aus. Deindividuation ist ein Zustand, der durch eine geschwächte
Verhaltenskontrolle, verringerte Bewertungsangst und Bewertungserwartung gekennzeichnet
ist. Als Konsequenz steigt demnach auch die Wahrscheinlichkeit für aggressives
Verhalten. Anonymität und Verantwortungsdiffusion fördern den Zustand der
Deindividuation. Sie sind in intergruppalen Interaktionen gegeben. Zimbardo
(1969) sieht die Gruppengröße ebenfalls einen Faktor der Deindividuation
fördert.
Jedoch
sind die experimentellen Befunde zur Hypothese, dass Gruppenmitglieder
aggressiver reagieren als Einzelpersonen, nicht eindeutig. Rabbie und
Mitarbeiter (1983) zeigten, dass sich das Verhalten der Mitglieder an der
dominierenden Norm in der Gruppe ausrichtet. Es kann daher sowohl im
Gruppenkontext als auch in der interpersonalen Interaktionssituation die
Wahrscheinlichkeit für aggressives als auch für nicht-aggressives Verhalten
steigen.
Ein
intergruppaler Kontext transportiert Informationen über die Angemessenheit
bestimmten Verhaltens. Bei Identifikation mit der eigenen Gruppe ist zu
erwarten, dass diese eher als eine fremde Gruppe als normativer Standard
herangezogen wird. Die Übereinstimmung mit den anderen Gruppenmitgliedern kann
die Entscheidung zu aggressivem Verhalten erleichtern (Mummendey & Otten,
1993). Nach Postmes und Spears (1998) orientieren sich die Mitglieder einer
Gruppe bei der Selbstdefinition und ihrem Verhalten an der Gruppe und den von
ihr vermittelten Normen.
1.3.1.Extreme Formen kollektiver Gewalt
Straub
(1999) schrieb über Gewalt gegen Gruppen (z.B. Massenmord und Genozid). Man
kann 3 Elemente, die „Böses“ von
„normaler“ alltäglicher Gewalt, unterschieden:
Straub
(1999) spricht von einem sequentiellen Verlauf. Die Entwicklung zum Bösen ist
ein fortschreitender Prozess währenddessen sich die gegen die Opfergruppe
gerichtete Gewalt allmählich verschlimmert und extremere Formen annimmt.
Ausgangspunkt
für extreme Gewalt gegen Gruppen sind häufig schwierige Lebensbedingungen, wie
z.B. Armut, Hunger, politische Instabilität, sozialer Umbruch etc. In solchen
Situationen bzw. unter solchen Bedingungen in denen die Menschen ihre basalen
Bedürfnisse (Sicherheit, Kontrolle, positive Identität) gefährdet sehe, bieten
einen idealen Nährboden für Ideologien, die schnelle Lösungen versprechen und
den Selbstwert stärken. Der Beginn von Handlungen die einer anderen Gruppe Schaden
zufügen sind der Grundstein für darauf aufbauende weitere und extremere Formen
der Gewalt.
Durch
das Abwerten und Ausgrenzen der Opfer werden normative Grenzen verschoben.
Somit gelten nun andere, weniger strenge moralische Beschränkungen (Opotow,
1990). Bandura (1999) nennt das „Dehumanisierung“
und meint damit das Absprechen der Menschenwürde. Sie ist eine von vier
Bedingungen für den fortschreitenden Verlust moralischer Bedenken gegen Gewalt
an einer bestimmte Person oder Gruppen. Eine weitere Komponente ist etwa das
Abstreiten unmoralische Handlungen bzw. dass Gewalt wichtigeren, höheren,
nicht-aggressiven Zielen dient oder das Gewalt das geringere das geringere von
vielen möglichen Übeln ist. Ein weiterer Aspekt ist das Abstreiten von Verantwortung
und das Ignorieren oder Verharmlosen negativer, nachhaltiger Konsequenzen für
die Opfer.
Straub
(1999) betont auch die Rolle von passiven
Zuschauern bei extremer kollektiver Gewalt. Durch die Zustimmung von
Zuschauern oder zumindest die Inaktivität (signalisieren dem/den Verursacher/n
von Gewalt das Ausbleiben von Sanktionen) erlauben sie eine Verschiebung der
moralischen Hemmschwellen und die Entwicklung von immer extremern Formen von
Gewalt. Außenstehende Beobachter unterstützen häufig die Täter über
kommerzielle, kulturelle oder andere Kontakte.
1.4.
Abschließende Bemerkungen
Es
gibt sozialpsychologische und dispositionale Erklärungen für aggressives
Verhalten.
Sozialpsychologische Erklärungen
implizieren, dass aggressives Handeln nicht allein das Problem einiger
identifizierbarer, durch dispositionelle oder erfahrungsbedingte Besonderheiten
ist. Diese Erklärung ist beunruhigend, denn sie geht davon aus, dass es ein
hohes Potenzial gibt, unter den „richtigen“ Bedingungen man selbst zum Täter werden
kann und weil die Analyse von Gewalt als Zusammenspiel alltäglicher
psychologischer Mechanismen nicht einem Freispruch für Täter gleichkommt.
Dispositionale Erklärungen beinhalten,
dass es individuelle und eher stabile Merkmale von Tätern auf spezielle
Eigenschaften von Opfern gibt.
Miller,
Gordon und Buddie (1999) liefern den empirischen Beweis, dass dispositionale
Erklärungen von Aggression eine hohe Schuldzuweisung und die Verurteilung des
Verhaltens nach sich ziehen, im Gegensatz zu sozialpsychologischen Erklärungen,
die auf situative Aspekte verweisen.
Die
Literaturgrundlage für den folgenden Abschnitt bildet: Weber, H. Ärger und
Aggression. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 30 (2/3), 1999, S.139-150)
In: Immenroth, M.&Joest, K.(2004): Psychologie
des Ärgers. Ursachen und Folgen für Gesundheit und Leistung. Verlag W.
Kohlhammer, Stuttgart.
In vielen theoretischen und
empirischen Arbeiten zu Ärger und Aggression wird ein enger Zusammenhang
zwischen beiden postuliert. Die Theorie von Berkowitz (1962) als Beispiel,
besagt, dass (im Sinne der Frustrations-Aggressions-Theorie von Dollard)
Frustration zu Aggression führt, wenn Ärger als vermittelnde affektive Reaktion
auf Frustration folgt. Er beschreibt demnach einen engen Zusammenhang zwischen
Ärger und Aggression. Diese Auffassung hat sich jedoch nicht umgesetzt. Ziel
sollte es sein, die Emotion Ärger als unabhängige Emotion zu betrachten und
selbst Berkowitz geht mittlerweile davon aus, dass neben der Emotion Ärger auch
andere negative Affekte zu aggressiven Verhaltensweisen fuhren können.
Die Eingrenzung des Ärgers erfolgt
durch den Vergleich dieser Emotion mit anderen Emotionen, Stimmungen und
Affekten, wie zB: Verärgerung, Feindseligkeit, Hass, Gereiztheit und
Aggression. Die Abgrenzung gegenüber der Aggression erscheint besonders
wichtig, da die Emotion Ärger lange Zeit nicht als eigenständiges Konstrukt
verstanden wurde, sondern innerhalb der Aggressionsforschung untersucht wurde
und somit eine automatische Verbindung zwischen Ärger und Aggression bestand.
Einer der grundlegenden Unterschiede dieser beiden Begriffe besteht darin, dass
es sich bei der Aggression nicht, wie bei Ärger, um eine Emotion, sondern um
destruktives Verhalten handelt. Ärger kann aber als möglicher Auslöser für
Aggression angesehen werden und steht somit in einem besonderen Verhältnis zur
Aggression. Es ist demnach nicht so einfach, die Frage zu beantworten, ob ein
Zusammenhang besteht oder nicht. Als Einführung werden ein paar grundlegende
Funktionen des Ärgers vorgestellt.
2.1.
Funktionen des Ärgers
Die Emotion Arger beeinflusst, im
Gegensatz zu anderen Emotionen, das menschliche Verhalten in sehr hohem Masse.
Eine starke Ärger-Reaktion kann zum Bsp. dazu fuhren, dass durch die
selbstregulative Funktion des Ärgers eine eigene Handlung unterbrochen oder
sogar abgebrochen werden muss. Auch im Sinne der sozialregulativen Funktion
kann eine Ärger-Reaktion zu einer Unterbrechung oder Abbrechung der Handlung
führen.
Selbstregulative Funktionen des
Ärgers:
Kuhl (1981, 2000) geht davon aus,
dass eine mehrmalige, ohne erkennbaren Grund auftretende Intentionsverfehlung,
die zu Ärger-Reaktionen fuhren kann, zu einer erhöhten Motivation fuhren kann,
diese Quelle zu beseitigen. Dies zeigt, dass die Emotion Arger den Impuls
impliziert, der die Auftrittswahrscheinlichkeit eines Verhaltens erhöhen bzw.
verringern kann. Man spricht von einer motivationalen oder handlungskatalysatorischen
Funktion des Ärgers. Auch kann dem Ärger eine mobilisierende oder energetisierende
Funktion zugeschrieben werden, dh., dass dem Organismus durch die
Ärger-Reaktion physische und psychische Energie zur Verfugung steht, die dabei
hilft die Ärger-Situation zu bewältigen.
Diese Funktion kann unter Umstanden auch zu aggressivem Verhalten
führen. Somit kann man auch von einer aggressionsanbahnenden Funktion des
Ärgers sprechen. Die Ärger-Reaktion kann andererseits aggressives Verhalten
abmildern oder sogar verhindern. Demnach schreibt man dem Ärger auch eine aquilibristisch-restaurative
Funktion zu, dh. der Ärger kann nach einer Provokation oder Frustration
dazu führen, dass das alte Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Es gibt noch
einige weitere Funktionen, auf die hier jedoch nicht mehr naher eingegangen
wird.
Sozialregulative Funktionen des
Ärgers:
Die Emotion Arger besitzt neben
selbstregulativen Funktionen auch sozialregulative Funktionen. Arger ist
sozusagen ein Indikator für eigenes oder fremdes Fehlverhalten und weist
Signalcharakter für das Umfeld auf (Funktion der Regel- und Normüberwachung).
Neben der diskriminativen Funktion (die Ärger-Reaktion kann ein
Hinweisreiz darauf sein, zwischenmenschliche Situationen richtig einzuschätzen)
kann dem Ärger auch eine kommunikative (durch eine Ärger-Bewältigungsstrategie
kann zur Klärung einer Situation beigetragen werden) und instrumentelle
Funktion (ein offener Ärger-Ausdruck kann eine gewünschte Reaktion des
Umfeldes auslösen) zugeschrieben werden.
2. 2.
Theoretische Aussagen zum Zusammenhang zwischen Ärger und Aggression
Im folgenden Beitrag werden
Emotionstheoretische und aggressionstheoretische Annahmen zum Zusammenhang
zwischen Ärger und Aggression vorgestellt
Ärger stellt eine der
Grundemotionen dar (siehe 6 Basisemotionen nach Ekman oder Plutchik) und ist
ein vielschichtiges Reaktionsmuster, welches gängigen Emotionstheorien zufolge
mehrere Komponenten umfasst:
- Kognitive Komponente
bezogen auf die Emotion Ärger,
besteht die Einschätzung, dass in schuldhafter Weise Schaden zugefügt wird
- Expressive Komponente
umfasst Veränderungen der Mimik,
der Körperhaltung und der Stimme
- Subjektiv-erlebnisbezogene
Komponente
Personen sprechen von Gefühlen der
Anspannung, Erregung und auch der Macht
- physiologische Reaktionen und
motorisch-motivationale Reaktionen (oder Handlungsimpulse), auf die in
den folgenden Kapiteln näher eingegangen wird.
Aggressives Verhalten kann
durch Emotionen und die oben genannten Reaktionen begünstigt werden. Wichtig
sei jedoch zu erwähnen, dass die Emotion Ärger nur als eine Emotion neben
anderen gilt, die aggressives Verhalten fördern können. Mit dieser
Überlegung verliert die Emotion Ärger ihre zentrale Rolle als spezifisch
aggressionsfördernde und aggressionsauslösende Emotion. Ob Ärger zu Aggression
führt, hängt auch von anderen Komponenten ab, wie zB. der individuellen
Lerngeschichte. Zu den kritischen Größen zählen gelernte aggressive und nicht
aggressive Verhaltensmuster, erwartete Handlungskonsequenzen, Fähigkeiten zur
Selbstkontrolle sowie normative Überzeugungen.
2.2.1.
Physiologische Aktivierung
Zillmann's Aggressions- u.
Emotionstheorien zufolge, ist die physiologische Aktivierung eine der
wichtigsten Komponenten. Dazu postuliert er drei grundlegende Annahmen
- Zillmann geht davon aus, dass
sich affektive Reaktionen im Alltag in schnellem Wechsel aneinanderreihen,
überlappen und daher eher von "affektiven Sequenzen" die Rede sein
sollte.
- Die zweite Annahme besagt, dass
die bewusste Verarbeitung affektauslösender Reize und Informationen schneller
verlauft, als deren Abbau, was zur Folge haben kann, dass Erregungen von einem
Ereignis auf ein neues übertragen werden können und somit eine harmlose
Provokation zu einer unverhältnismäßig intensiven Ärger-Reaktion führen kann.
Zillmann spricht in diesem Fall von "Erregungstransfer". (dh.
physiologische Resterregungen früherer provokativer Ereignisse können sich mit
aktuellen physiologischen Erregungsreaktionen verbinden)
- Die dritte Annahme geht davon
aus, dass hohe physiologische Erregungszustande mit kognitiven Defiziten
einhergehen.(dh es besteht eine eingeschränkte kognitive Kontrolle) In dem Fall
wird in Form einer so genannten Notfallreaktion auf basale, gelernte
Verhaltensmuster zurückgegriffen, wobei hier die Frage aufkommt, welche
Reaktionen gelernt wurden und zur Verfügung stehen.
2.2.2.
Handlungstendenzen
Evolutionstheoretischen Annahmen
zufolge (siehe zB Plutchik, 1984) wird der Emotion Ärger zugeschrieben, auf die
Wahrnehmung von Hindernissen oder Feinden hin zu Angriff und Kampf zu
motivieren und aufzubegehren.(Emotion als treibende Kraft Richtung aktivem
Widerstand) Auch Frijda (1986) nimmt an, dass die Emotion Ärger zu Widerstand
hin motiviert, aber er spricht nicht nur von destruktiver Funktion sondern
schreibt ihm auch ein wichtiges konstruktives Verhaltenspotential zu. In
diesem Zusammenhang motiviert die Emotion Ärger dazu, auf die Wahrnehmung von
Unrecht hin aktiv zu werden und die verletzten Rechte und Interessen zu
verteidigen.
Im Unterschied zu
evolutionsbiologischen Ansätzen, die den Ärger als weitgehend angeborene,
kulturinvariante Kampfreaktion auf Angriff hin interpretieren, betonen
sozial-konstruktivistische Ansätze die soziale, kulturspezifische Ausformung
von Emotionen und die ihnen zugeschriebenen sozialen Funktionen in
hochzivilisierten Gesellschaften. Nach Averill (1982) ist die Aufrechterhaltung
sozialer Regeln die entscheidende Funktion des Ärgers. Er interpretiert den
Ärger als eine "emotionale Rolle", welche Regeln enthält, die
besagen, wann man Ärger empfinden soll und wie in dem Fall zu reagieren ist.
Ärger ist nach Averill eine unkontrollierbare "Leidenschaft" und es
wird im Schutz der Leidenschaft gegen die vorgegangen, die gegen Regeln
verstoßen.
2.2.3.
Problem der Differenzierung zwischen den Begriffen Ärger und Aggression
Trotz der vielen in der Theorie
erarbeiteten Differenzierungen zwischen den Konstrukten Ärger und Aggression
besteht jedoch immer wieder eine automatische Verbindung zwischen den beiden.
Dies hat mehrere Gründe:
- die Unsauberkeit in der
Verwendung von Begriffen
Zillmann (1993) spricht zum
Beispiel von einer "angry aggression", obwohl seiner Theorie zufolge
Ärger nur ein möglicher Auslösefaktor neben anderen ist.
- die Emotion Ärger wird häufig in
eine Reihe mit anderen Emotionen gestellt (wie zum Beispiel Gereiztheit und
Feindseligkeit)
Im Falle des "Aggression
Questionaire", einem gängigen Fragebogenverfahren, bilden die Items der
Skalen "Ärger" und "Physische Aggression" einen gemeinsamen
Faktor, was wiederum eine Differenzierung der beiden Begriffe von vornherein
ausschließt.
- Ausblendung konstruktiver
Verhaltensweisen
Konstruktives Verhalten als zB.
Folge einer Provokation, wird von vornherein ausgeschlossen und ist per
Forschungsparadigma nicht existent.
Ob und wann Ärger zu konstruktiven
oder destruktiven Reaktionen führt, kann jedoch nur dann untersucht werden,
wenn ärgerbegleitende Reaktionen und Regulationsprozesse möglichst offen
erfragt und beobachtet werden.
2.3.
Empirische Arbeiten zur Regulation von Ärger
Zur Regulation von Emotionen
gehören allgemein alle präventiven, gleichzeitigen und nachfolgenden
kognitiven, expressiven und behavioralen Prozesse, durch die emotionsbezogenen
Reaktionen beeinflusst und verändert werden. Dazu gehören die Veränderung der
Mimik, die Reattriebuierung einer Schuldzuweisung, das Verlassen eines Raumes
oder die zu einem cholerischen Ausbruch ausgestaltete impulsive Reaktion. Aus
neutralem Standpunkt aus gesehen spricht man hier von "Reaktionen auf
Ärger". Wenn man jedoch zwischen bewussten Verhaltensweisen und nicht mehr
reflektierten Gewohnheiten differenzieren möchte, kann man sie als
"Regulation" bezeichnen.
Eine der einflussreichsten
empirischen Arbeiten ist die Studie zu alltäglichen Ärgersituationen von
Averill (1982).
In Averill's Studie geht es grob um
die Beschreibung von selbstberichtetem Verhalten in alltäglichen
Ärgersituationen anhand von vier Verhaltenskategorien: Direkte Aggression,
Indirekte Aggression, Verschobene Aggression und Nicht-aggressive Reaktion.
Diese vier Kategorien wurden dann noch einmal intern differenziert.
160 Probanden wurden zum einen
gefragt, wie sie in einer bestimmten Situation reagiert haben (erlaubt
Schätzung des Ausmaßes an subjektiv wahrgenommenen Handlungsimpulsen), zum
anderen, wie sie hätten reagieren wollen (erlaubt Schätzung des Ausmaßes an
Kontrolle).
Unter der "so habe ich
reagiert" - Bedingung standen an erster Stelle nicht-aggressive
Reaktionen, gefolgt von Maßnahmen zur Beruhigung, mit Dritten reden, und
weiters verbale und symbolische Aggression. Nur 10% gaben körperlich aggressive
Reaktionen an.
Unter der "so hatte ich
reagieren wollen" - Bedingung gaben die meisten Probanden verbale
Aggression an, gefolgt von "mit einem anderen reden wollen, ohne
feindselig zu sein" und physischer Gewalt.
Diesen und anderen ähnlichen
Studien zufolge (zB. Nell, 1989), gibt es neben verbal aggressiven Reaktionen
ein hohes Ausmaß an nicht-aggressiven und konstruktiven Reaktionen seitens der
Versuchspersonen. Die Selbstberichte lassen dabei auf ein hohes Ausmaß an
ausgeübter Kontrolle schließen.
In einer weiteren Studie (Weber,
1997; Weber, 1999) wurden 200 Probanden befragt, wie sie mit sozialen
Ärgersituationen umgehen. Grundlage dieser Studie war ein Interview mit
standardisierten Fragen und teilweise vorstrukturierten Antworten. Der Großteil
der Probanden berichtete, ähnlich der Studie von Averill, ein hohes Ausmaß an
nicht-aggressiven Reaktionen. Unter den aggressiven Reaktionen standen an
erster Stelle verbale Angriffe und Vorwurfe. Auch diese Studie bestätigt die
Selbstberichte, dass neben verbal aggressiven Reaktionen auch konstruktive und
problemlösezentrierte Reaktionen berichtet werden.
2.4.
Soziale Konstruktion angemessener Ärgerregulation
Da man davon ausgehen muss, dass
individuelles Verhalten nur im Kontext kollektiver Konstruktionen und
normativer Überzeugungen interpretiert werden kann, werden nun Überlegungen zur
sozialen Konstruktion angemessener Ärgerregulation vorgestellt.
Sozial-konstruktivistische Theorien postulieren, dass Emotionen Gegenstand
sozialer Konstruktionen sind, die Ausdrucksformen, Erlebnisinhalte und
Regulationsprozesse festschreiben. Es wird zwischen wissenschaftlichen und
populären Konstruktionen unterschieden. Formen der Ärgerregulation nach
wissenschaftlichen Konstruktionen sind zB. Entspannung, Umdeutungen, Ablenkung,
physische Distanz zur Erregungsquelle und problemlöseorientiertes Handeln.
In einer Studie von Weber (1997,
1999) wurden Probanden befragt, welches Verhalten sie in Umgang mit Ärger als
effizient empfehlen wurden. Die Ergebnisse sahen wie folgt aus: die
meisten Probanden gaben die nicht-feindselige Aussprache an (66%), gefolgt von
Analyse der Situation (47%), Unterdrückung (34%), Distanzierung (23%) und
Ausbruch (23%). Nur 10% gaben die Suche nach Komplizen im Kampf gegen den
Ärgerverursacher an. Im Gegensatz zum selbstberichtetem Verhalten wird demnach
die Aussprache (im Gegensatz zum Ausbruch und Unterdrückung), in höherem Maße
berichtet.
Die normativen Überzeugungen, die
Laien berichten, bestätigen zum einen die soziale Erwünschtheit konstruktiver
Verhaltensweisen, zum anderen findet sich auch eine nennenswerte Gruppe
(immerhin ein Viertel) von Probanden, welche impulsive Ausbrüche als
angemessene Reaktion ansieht. Diese Untersuchungen zeigen, dass das Urteil über
die Angemessenheit ärgerbezogener Reaktionen sehr breit streut, und, dass somit
von einem erwünschten Verhalten kaum die Rede sein kann. Angesichts
dessen wird wohl vor allem verbal aggressives Verhalten in der Regulation von
Arger ein andauerndes Thema für zukünftige Untersuchungen bleiben.
Autorin: Hanna Steindl
Quelle:
Buss D.M. (2004). Evolutionary
Psychology: the new science of the mind. Pearson, 2nd edition
Im Jahr 1974 kam es zu folgender Beobachtung: es bildete sich eine
Gruppe aus acht männlichen Schimpansen, die die Grenze ihres eigentlichen
Territoriums überschritten. Dort entdeckten sie einen Schimpansen einer anderen
Gruppe, der alleine war und sofort die Flucht ergriff. Die Gruppe verfolgte ihn
und als sie ihn eingeholt hatten, attackierten sie den Schimpansen derart hart
und heftig, dass er ein paar Tage später an seinen Verletzungen starb. Es war
dies die erste Beobachtung, in der Schimpansen in ein fremdes Territorium
eindrangen um ein anderes Individuum scheinbar grundlos zu attackieren, noch
dazu mit letalem Ausgang. Damit war die Auffassung von Schimpansen als friedliebende
Primaten ins Wanken geraten.
Man muss natürlich mit oberflächlichen Vergleichen von aggressiven
Verhalten von Schimpansen auf Menschen vorsichtig sein, dennoch hatten Wrangham
& Peterson (1996) eine bemerkenswerte Beobachtung gemacht: unter mehr als
zehn Millionen existierenden tierischen Arten, davon 4000 Säugetieren, gibt es
nur zwei Spezies, die ein ausgeprägtes und intensives, von Männern initiiertes
aggressives Verhalten an den Tag legen und zu deren Ausübung sie auch
Koalitionen bilden, nämlich Schimpansen und Menschen.
3.1. Evolutionäre
Psychologie
Die
Evolutionäre Psychologie (EP) stellt eine vergleichsweise junge Disziplin dar.
Sie versucht menschliche Verhaltens- und Handlungsweisen aus einer
evolutionären Entwicklung heraus zu verstehen und zu erklären.
Darwin
brachte mit der Veröffentlichung seines Werkes „On The Origin Of Species“
(1859) eine Erklärung für Veränderungen in Bauplänen von Organismen. Er
postulierte die Entwicklung von unterschiedlichen Arten als Folge von Selektion
der - im Kampf ums Überleben - Bestangepassten. Doch nicht nur morphologische
Eigenheiten, auch Verhalten unterliegt formender und optimierender
Kräfte evolutionsbiologischer Vorgänge und Prozesse.
Die menschliche Evolutionsgeschichte hat sich
hauptsächlich in einer Umgebung abgespielt, die der heutigen Umwelt kaum
ähnelt. Unsere Vorfahren sahen sich mit diversen Überlebensproblemen
konfrontiert, wie beispielsweise der Sicherung von Nahrung und anderer
Ressourcen, der Sicherstellung eines Lebensraumes, Verteidigung gegenüber
(Raub)Feinden, sowie Fortpflanzung und Reproduktion. Adaptationen brauchen
Zeit, und so stellen viele Merkmale Antworten bzw. Reaktionen auf die Überlebensfragen
und Probleme dar, die sich unseren ancestralen Vorfahren in einer Umwelt
stellten, in der Mensch über 90% seiner Entwicklung verbracht hat.
Ziel einer evolutionärpsychologischen Betrachtungs-
und Herangehensweise ist es die Frage zu klären, welchen Funktion ein
bestimmtes Verhalten - im vorliegenden Fall Aggression - gehabt haben könnte.
Die Herausbildung einer Verhaltensweise wird somit als so genannte Adaptation
angesehen. Adaptationen lassen sich definieren als ererbte und sich reliabel
entwickelnde Charakteristika, entstanden durch natürliche Selektion, weil sie
halfen Überlebensprobleme zu lösen.
3.2. Aggression als
Lösung eines adaptiven Problems - aktuelle Theorien
An dieser Stelle soll der Frage nachgegangen werden, welches
adaptive Problem durch aggressives Verhalten gelöst worden sein könnte bzw.
welchen Nutzen die Herausbildung eines solchen Verhaltens mit sich gebracht
haben könnte.
Eine evolutionär-psychologische Perspektive wird nie
nur eine Hypothese über den Ursprung von Aggression oder irgendeinem anderem
Verhaltensphänomen im Blickwinkel haben. Hier soll nun eine Auswahl evolutionärpsychologischer bzw. -biologischer Hypothesen zur
Funktion von Aggression/aggressivem Verhalten dargestellt werden:
3.2.1 Erlangen von Ressourcen
Es kann
Umstände geben, in denen das Überleben des einen davon abhängig werden kann, ob
er sich Nahrung oder eine andere Ressource eines anderen Individuums gewaltsam
aneignen kann oder nicht. So stellt auch das Gesetz Diebstahl von
beispielsweise Nahrung dann außer Strafe, wenn eine Person dadurch für sie
lebensbedrohende Umstände abwehren konnte.
3.2.2 Verteidigung gegen Angriffe
Bei einem
Angriff durch Feinde bleiben zwei Möglichkeiten: Flucht oder Verteidigung. Es
wird Situationen geben, da ist da wird es günstiger sein zu fliehen, aber in
anderen Situationen kann es weitaus besser sein, sein Territorium und sein Hab
und Gut zu verteidigen.
3.2.3 Vorteil im intrasexuellen Konkurrenzkampf
Bezogen
auf das Überlebensproblem Fortpflanzung, dass dem intrasexuellen Wettbewerb
zugrunde liegt, kann es durchaus von Vorteil sein, sich gegenüber seinem
Konkurrenten durch aggressive Handlungen durchzusetzen. Der Schaden, der dem einen zugefügt wird, kann für den
anderen ein Nutzen sein.
3.2.4 Status und soziale Hierarchie
Dieser
Theorie ist steht in starker Kontext- und Gruppenabhängigkeit und besagt, dass
aggressives Verhalten zu einem Aufstieg in der sozialen Hierarchie und einem
Statuszugewinn führen kann. So gibt es bei einem Stamm in Venezuela, den
Yanomamö, ebenso wie bei den Ache in Paraguay rituelle Kämpfe zwischen den
Männern. Diejenigen, die siegreich aus diesen Auseinandersetzungen hervorgehen,
genießen hohes Ansehen. Auch in Kriegen werden jene Männer besonders geachtet
und geschätzt, die für die Truppe Risiken auf sich nehmen und Feinde töten.
Jedoch ist Gewalt und Aggression nicht immer angebracht, um seinen sozialen
Status aufzubessern. Sich Prügelnde Hochschulprofessoren werden dies wohl kaum
erreichen...
3.2.5 Prävention gegen zukünftige Aggressionen
Den Ruf
zu haben, aggressiv zu sein, kann hilfreich sein, um sich vor Aggressoren schon
im Vorhinein zu schützen, da diese dann möglicherweise nicht mehr gewillt sind,
dass Risiko einer Attacke einzugehen.
3.2.6 Prävention gegen Untreue in
Langzeitbeziehungen
Nach Buss (2004) könnte Eifersucht in
Langzeitbeziehungen dahingehend dienlich sein um das Fremdgehen des Partners zu
verhindern und um so sicherzustellen, dass die Nachkommen wirklich die eigenen
sind.
Abschließend sei hier noch angemerkt, dass für alle
oben genannten Hypothesen starke Kontextspezifität gilt.
3.3
Geschlechtsunterschiede
Männer
sind sowohl als Täter als auch Opfer viel öfter in physisch-aggressive
Auseinandersetzungen verwickelt als Frauen. Verdeutlicht wird dies unter
anderem auch durch die Mordstatistik. So wurden die in Chicago in den Jahren
1965 bis 1980 begangenen Morde zu 86% von Männern verübt, 80% der Opfer davon
waren ebenfalls Männer. Dies ist eine Beobachtung, die sich durch alle Kulturen
zieht und wieder finden lässt.
Eine
Erklärung hierfür könnte der unter Männern stärker ausgeprägte Konkurrenzkampf
sein, der sich wiederum mit der Triver`schen Theorie des asymmetrischen
Investments begründen lässt. Diese Theorie postuliert unter anderem, dass dasjenige
Geschlecht, welches das höhere Investment in die Aufzucht von Nachwuchs
leistet, wählerischer in Bezug aus Sexualpartner ist, während hingegen das
andere Geschlecht in einem stärkeren Wettbewerb zueinander steht.
Aufgrund
unterschiedlichen elterlichen Investments (Theorie von Trivers, 1972) machen
Männer (die in Bezug auf Fortpflanzung und Reproduktion das niedriger
investierende Geschlecht darstellen) eher Gebrauch von Gewalt und aggressiven
Handlungen als Frauen. Männer sind demnach auch eher gewillt Risiken und
gefährliche Situationen einzugehen, da sie schließlich jenes Geschlecht
darstellen, dass in einem stärkeren intrasexuellen Konkurrenzkampf um die
„Ressource Frau“ steht.
IV. Ärger – diagnostische Messverfahren
Autorin: Cornelia Jakesch
Der
folgende Beitrag stützt sich auf diese Quellen:
Immenroth,
M.&Joest, K. (2004)Psychologie des Ärgers. Ursachen und Folgen für
Gesundheit und Leistung. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart. S. 55-62
Hodapp,
V., Schwenkmezger, P.&Spielberger, C.D.( 2004): Das State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar
STAXI. Verlag Hans Huber, Bern Göttingen Toronto.
4.1.
Die Diagnose von „Ärger“
Bereits
im Jahr 1954 trafen Funkenstein, King und Drolette die Unterscheidung zwischen
„Anger-In“ und „Anger-Out“, doch erst von 1975 an begann Raymond W. Novaco
unabhängig von Aggression mit der systematischen Untersuchung und
Differenzierung der Emotion „Ärger“. Die Erfassung der verschiedenen
Komponenten von Ärger, wie z.B. Ärger-Ausdruck, Ä.-Neigung und Ä.-
Verarbeitung, wurde jedoch erst ca. 10 Jahre später, nachdem einzelne valide
und reliable diagnostische Messverfahren entwickelt worden waren, möglich. Als
einer der wichtigsten Vertreter seit den 60er Jahren differenzierte Charles D.
Spielberger zunächst das Angst-Konzept und daraufhin das Ärger-Konzept aus, und
stellte schließlich 1988 den State-Trait Anger Expression Inventory (STAXI)
vor.
Emotionen
sind laut Weber(1994) als ein Syndrom, welches fünf Ebenen umfasst, zu
verstehen. Diese fünf Komponenten bzw. Prozesse (expressiv, kognitiv,
motivational/aktional, subjektiv-erlebnis-bezogen und physiologisch) sind nicht
immer alle Bestandteile von einer Emotion, sondern treten variabel auf und
damit kann eine der Prozessebenen auch einmal fehlen.
Dementsprechend
zielt die Diagnose der Emotion „Ärger“ darauf ab, alle der fünf genannten
Ebenen zu erfassen, wobei drei Formen der Diagnostik eingesetzt werden:
1.
Messung von
physiologischen Veränderungen
Im
Allgemeinen kommt es bei einer Ärger-Reaktion durch eine erhöhte Erregung des
Organismus - messbar anhand bestimmter physiologischer Indikatoren - zu einer
stärkeren Aktivierung des zentralen und des autonomen Nervensystems. Fraglich
ist, ob ein spezifisches Muster der physiologischen Reaktionen typisch für
Ärger ist, und von Reaktionen anderer Emotionen zu unterscheiden ist. Mit
dieser so genannten Emotionsspezifität beschäftigt sich u.a. Stemmler(2000),
der vier Modelle physiologischer Emotionsspezifität beschreibt. Bei der
„Nicht-Spezifität von Emotionen“ wird davon ausgegangen, dass keine Emotion
eine jeweils besondere physiologische Veränderung mit sich bringt. Im Gegensatz
dazu meint die „Absolute Emotionsspezifität“, dass jede Emotion eine absolut
spezifische Reaktion hervorruft. Die „Kontext-Abweichungs-Spezifität“ geht von
der Annahme aus, dass dieselben Emotionen in unterschiedlichen Kontexten
verschiedene physiologische Muster auslösen können. Beim letzten Modell handelt
es sich um die „Spezifität prototypischen Verhaltens“: hier werden bestimmte
physiologische Veränderungen mit prototypischen Verhaltensweisen verknüpft,
wobei verschiedene Emotionen diese auslösen können, als auch Situationen, die
nicht primär emotional geladen sind.
Ausgehend
von der Annahme einer Emotionsspezifität von Ärger haben verschiedene
ForscherInnen unterschiedliche Ansätze entwickelt. Henry(1986) formuliert ein
Modell der negativen Emotionen, in welchem Ärger die Ausschüttung von
verschiedenen Hormonen in einem spezifischen Verhältnis auslöst. Dieses
neuroendokrines Reaktionsmuster unterscheidet sich somit von den spezifischen
hormonellen Veränderungen bei den Emotionen Angst oder Depression, und
impliziert laut Henry die Freisetzung von Noradrenalin, Renin und Testosteron,
sowie eine leichte Erhöhung des Adrenalinspiegels. Als eine Folge dieser
hormonellen Reaktion kommt es zu einem höheren Blutdruck und einer erhöhten
Herzfrequenz. Im Gegensatz zu Henry’s emotionsspezifischen hormonellen
Reaktionsmusters meint Panksepp(1989), dass zentralnervöse Schaltkreise im
Hypothalamus sowie im limbischen System emotionsabhängig behaviorale und
physiologische Reaktionen auslösen. Obwohl emotionsspezifische Schaltkreise
reagieren, können die jeweiligen Veränderungen jedoch kontextabhängig
differieren. Stemmler(2000) beschäftigte sich intensiv anhand einer
Literaturübersicht mit den Forschungsergebnissen zu den Emotionen Ärger und
Angst. Demnach gibt es zwar wenige konsistente Erkenntnisse – wahrscheinlich
aufgrund der unterschiedlichen Emotionsinduktion - jedoch scheinen Ärger und Angst eine erhöhte
Herzrate sowie einen höheren systolischen Blutdruck mit sich zu bringen. Bei
Ärger kommt es außerdem zu einer Erhöhung des diastolischen Blutdrucks, des
peripheren Widerstandes und der somato-motorischen Aktivität. Typisch für Angst
scheinen eine verringerte Fingertemperatur sowie ein Anstieg des
Herzminutenvolumens zu sein. In Bezug auf die von Stemmler formulierten
Modelle, können demnach weder die Nicht-Spezifität von Emotionen noch die
absolute Emotionsspezifität unterstützt werden, während über die restlichen
zwei Modelle überhaupt keine fundierten Schlussfolgerungen möglich sind.
Systolischer/diastolischer
Blutdruck:
Der Druck, mit dem das Blut durch
die Gefäße fließt, nennt man Blutdruck. Er ist am höchsten, wenn sich das Herz
zusammen zieht (Dauer ca. 0,15 Sekunden) und das Blut in die Arterien presst,
die sich dadurch ausdehnen. Der dabei entstehende Druck heißt systolischer
Blutdruck. Er ist am niedrigsten, wenn das Herz wieder erschlafft (Dauer 0,7
Sekunden) und die Gefäße wieder ihren Normalzustand erreichen. Der dabei
auftretende Druck heißt diastolischer Blutdruck. (http://www.medizinauskunft.de/schwerpunkt/hypertonie/was/was_2.php)
Peripherer Widerstand:
Mit dem Begriff wird beschrieben,
dass die Schlagadern und die Venen eine Wandspannung besitzen, die dem
Blutauswurf des Herzens einen gewissen variablen Widerstand entgegensetzen.
Dieser Widerstand wird zur Kreislaufregulation und zu bedarfsgerechten
Verteilung des Blutes in die einzelnen Organe vom Körper variiert. Die
Hauptregulation erfolgt dabei in den Arteriolen, den so genannten präkapillären
Widerstandsgefäßen. Die Widerstandserhöhung erfolgt vorwiegend durch eine
aktive Muskelkontraktion der Gefäßmuskulatur, ein Teil wird auch durch die
Gefäßelastizität beigetragen. (http://www.lumrix.de/icd/med/peripherer.html)
Herzminutenvolumen:
Das Herzminutenvolumen (HMV) oder Herzzeitvolumen (HZV) ist das Volumen
des Blutes,
welches in einer Minute vom Herz durch den Blutkreislauf
gepumpt wird. Das Herzminutenvolumen ist also ein Maß für die Pumpfunktion des Herzens.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Herzminutenvolumen)
Während
somit keine eindeutigen Befunde für oder gegen ein ärgerspezifisches
physiologisches Reaktionsmuster existieren, lässt sich der Ärgerzustand doch
anhand einiger Indikatoren vom Normalzustand abgrenzen (Immenroth&Joest,
2004. S.57):
Zusammenfassend
lässt sich dieser Messansatz der Emotion Ärger also als Versuch mit Hilfe von invasiven
(=in den Körper eindringend) und
nicht-invasiven Verfahren spezifische physiologische
Symptome der Ärger-Reaktion zu erfassen und von bestimmten Reaktionen anderer
Emotionen abzugrenzen, definieren.
2.
Fremdbeobachtung
Obwohl im
Alltag Ärger-Reaktionen anhand Veränderungen der Mimik, Gestik und Sprache gut
erkennbar für andere zu sein scheinen, kann im psychologischen Bereich nicht
auf allgemeingültige Aussagen über die ärgerspezifische Gestik zurückgegriffen
werden. Vielmehr wird nur von einer allgemeinen Körperaktivierung gesprochen,
die den Körper in Kampfbereitschaft bringen soll.
Bezüglich
der mimischen Reaktionen wird von einer erhöhten Aktivierung der
Elektromyopotenziale der Gesichtsmuskulatur ausgegangen, obwohl noch nicht
geklärt ist, ob diese Tatsache alleine für die Form des ärgerspezifischen
Gesichtsausdrucks verantwortlich ist. Fraglich ist auch, inwiefern
soziologische und kulturanthropologische Aspekte neben der biologischen Sicht
in die Forschung mit einbezogen werden sollten. Laut Ekman (1988) liegt eine
„[…] universelle, kulturunabhängige, invariante Mimik bei Emotionen […]“
(Immenroth&Joest, 2004. S. 58) vor. Somit ist der ärgerspezifische
Gesichtsausdruck anhand mehrerer Aktionseinheiten, die nicht immer alle
auftreten, sondern in bestimmten Konstellationen, zu erkennen
(Immenroth&Joest, 2004. S. 58):
·
Zusammenziehen der
Augenbrauen,
·
Anspannen der
Augenlieder,
·
Anspannen,
Aufeinanderpressen und Einziehen der Lippen,
·
stechender Blick,
·
geweitete Nasenflügel,
·
usw.
Im
Vergleich zur Gestik wurden Veränderungen der Mimik zwar systematischer
untersucht, jedoch gibt es immer noch Unstimmigkeiten über den typischen ärgerlichen Gesichtsausdruck. Mit ein Grund dafür
scheint die methodische Herangehensweise zu sein: entweder wird intern valide,
also mit induzierten Ärger-Reaktionen in Laborexpertimenten, geforscht, oder es
werden spontane Reaktionen in natürlichen Lebenssituationen beobachtet,
gleichzusetzen mit einer geringen externen Validität und damit einer geringen
Generalisierbarkeit.
Wallbott&Scherer
(1985, 1990) argumentieren, dass - häufiger als bei anderen Emotionen - Ärger
Veränderungen in der Sprache und Stimme mit sich bringt, und diese Reaktionen
auch im Gedächtnis bleiben. Laut den Autoren wird die Stimme schneller, höher
und lauter, doch noch reichen die empirischen Befunde noch nicht für
allgemeingültige Aussagen aus.
3.
Selbstbeobachtungen
und -berichte
Unter Selbstbeobachtung bzw. –bericht werden zum einen
Tagebücher, als auch Fragebogenverfahren verstanden. In den so genannten
„Ärger-Tagebüchern“ sind die Versuchspersonen aufgefordert, alle
Ärger-Reaktionen in einem bestimmten Zeitraum bzw. zu einem spezifischen
Ereignis selbst zu beschreiben und festzuhalten.
Beim Fragebogenverfahren kommen
Situations-Reaktionsverfahren (Welche Reaktionsmöglichkeiten werden bei
vorgegebener Situation gewählt?), multidimensionalen Fragebögen (mehrere
Komponenten der Ärger-Emotion werden erhoben) als auch Fragebögen die für
einzelne Ärger-Komponenten entwickelt werden, zum Einsatz. Beispiele für
spezifische Messinstrumente sind (Immenroth&Joest, 2004. S.59):
·
Der Fragebogen für
sportbezogene Belastungssituationen von Allmer (1985).
·
Der Fragebogen Interferierende Kognitionen – Tischtennis
(KIF-TT) von Hindel und Krohne (1987) zur Erfassung störender Kognitionen und
Bewältigungstechniken im Tischtennis.
·
Die Skalen Anger
Symptoms oder Anger Situations (vgl. Deffenbacher et al., 1986,
Hazaleus&Deffenbacher, 1986), bei denen die Personen eigene
ärgerspezifische physiologische Symptome oder Situationen jeweils mittels einer
Skala von 0 (keine Symptome/keine Ärger-Reaktion) bewerten sollen.
Als ein Beispiel für multidimensionale Verfahren sei das Multidimensional Anger Inventory (MAI)
von Siegel (1986) genannt, das Anger-Arousal,
Range of Anger-Eliciting Situations, Hostile Outlook und Anger-In/Anger-Out erfasst.
Müller (1993) kritisierte die Methoden der Erhebung von
Ärger – insbesondere war er der Meinung, dass der Faktor Anger-Out nicht
differenziert genug betrachtet würde – und konstruierte den Müller Anger-Coping Questionnaire (MAQ).
Dieser soll die Verarbeitung von Ärger, also Schuldgefühl, kognitive Prozesse
und den sozial kompetenten Ärger-Ausdruck erfassen.
Um die scheinbar stetige Zunahme von Gewalt an Schulen zu
erforschen, entwickelten 1998 Smith und Kollegen das Multidimensional School Anger Inventory (MSAI), das sich auf die
vier Dimensionen „positive, nach außen gerichtete Ärger-Bewältigung“,
„Ärger-Erfahrung“, „zynische Einstellung“ und „destruktiver Ärger-Ausdruck“
konzentriert.
Vor allen Dingen in der Sportwissenschaft wurde in einigen
Erhebungen eine so genannte Selbstkonfrontations- bzw.
Video-Rekonstruktionsmethode eingesetzt, sowie ein Computergestütztes
Erfassungssystem zur Selbstbeobachtung in Stresssituationen. Die
Video-Rekonstruktionsmethode verlangt von der Versuchsperson eine
Videoaufzeichnung von sich in der von ihr gewünschten Geschwindigkeit
(Standbild, Zeitlupe oder Schnelldurchlauf) zu betrachten, und auch gewisse
Sequenzen bei Bedarf wiederholt anzusehen. Nachdem der Mehrheit der Menschen
ein differenziertes und strukturiertes „Stressgedächtnis“
(Reicherts, 1992) fehlt, kann mit Hilfe der Videoaufzeichnung eine Ekphorie,
also ein Wiederhervorrufen eines Erinnerungsbildes, ausgelöst werden. Somit
sollte der Versuchsleiter jeder Versuchsperson die zentrale Problematik vor
Augen führen, was diese Methode bei der Durchführung und Auswertung
verständlicherweise ziemlich aufwändig gestaltet und dementsprechend einen
Nachteil darstellt.
Auch mit Hilfe des Computergestützten
Erfassungssystems zur Selbstbeobachtung in Stresssituationen (COMES) sollen
sich Versuchspersonen an Stresssituation oder Ärgerauslösende Situationen
erinnern. Nach einem subjektiv belastenden Vorkommnis wird das Stressgefühl so
bald als möglich mit einem Taschencomputer bewertet, und außerdem mit der
Beantwortung von Selbstbeobachtungs-Items auf einer Ratingskala ergänzt.
Wie bereits erwähnt setzte sich Spielberger intensiv mit
der Entwicklung des State-Trait Anger
Expression Inventory (STAXI), das
ebenfalls zu den multidimensionalen Fragebogenverfahren zählt, auseinander, und
nachdem dieser Bogen sich als ökonomisches und reliables Instrument zur
Erfassung von Ärger und Ärger-Ausdruck erwiesen hat, soll nun näher darauf eingegangen
werden.
Das State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar (STAXI)
Spielberger entwickelte die Ärgerskalen im Sinne seines
Forschungsinteresses, grundlegende Emotionen wie Angst, Ärger und Neugier zu
analysieren.
Im Endeffekt war das STAXI Resultat von zwei unabhängigen,
jedoch verwandten Untersuchungen: in einem Programm lag der Fokus darauf,
Angst, Ärger und Neugier als emotionale Zustände und
Persönlichkeitsdispositionen zu konzipieren, im anderen sollten diejenigen
Faktoren ausfindig gemacht werden, die in der modernen Industriegesellschaft
mitverantwortlich für die häufigsten Zivilisationserkrankungen (Hypertonie,
koronare Herzerkrankungen, Krebs und chronische Kopfschmerzen) sein könnten, da
ihnen im weiteren Sinne auch psychosoziale Ursachen zugeschrieben wurden.
Hierbei war die Ärgervariable zentral.
Da die im STAXI verwendeten Ärgerdimensionen in ein
integratives Ärgermodell eingeordnet werden sollten, sollte davon ausgegangen
werden, dass Emotionen verbunden sind mit Handlungen. Somit sollten alle Teile
dieses Prozesses diagnostisch erfasst werden, weshalb die Komponenten Ärgerauslösung, Ärgererscheinungsformen,
Ärgerausdrucksweisen und Ärgerstabilisierung
differenziert betrachtet werden.
Die Ärgerauslösung impliziert
das ärgerauslösende Ereignis, die Ärgerneigung und die kognitive Bewertung der
Situation. Ärgerauslösend wirkt die selbst- oder fremdverursachte Blockierung
oder Behinderung einer zielgerichteten Handlung. Was diese potenziell störenden
oder provozierenden Situationen betrifft, so ist die jeweilige Einschätzung und
damit verbunden die Stärke der Ärgerreaktion abhängig von der Ärgerdisposition,
die Resultat von biologischen Voraussetzungen oder auch von Lern- und
Verstärkersituationen sein kann. Kognitiv bewertet werden die Gründe, die das
Erreichen eines Ziels unmöglich machen, wobei sich hier die Fragen stellen, wer
für etwas verantwortlich ist, ob etwas ungerecht oder unerwartet passiert ist,
welche Normen oder Anspruchsrechte verletzt sind und welche
Entschuldigungsgründe verwendet werden können. Die Phase der Ärgererscheinungsformen subsumiert
physiologische, kognitive und behaviorale Reaktionen, die Zustandsvariablen
darstellen und vor allem anhand ihrer Intensität differenziert werden. Bei den Ärgerausdrucksweisen handelt es sich um bestimmte
Formen von Ärgerverarbeitungsstrategien, die im Fragebogen anhand einiger
Verhaltensweisen gemessen werden (Bsp.: „Ich mache Dinge wie Türen
zuschlagen.“) Die Ärgerstabilisierung
bezieht sich darauf, wie der im Zuge des Ärgers entstandene Stress verarbeitet
wird: eine erneute Bewertung der ärgerauslösenden Situation ist notwendig, um
passende Bewältigungsmöglichkeiten zu finden. Gelingt diese Neubewertung und
nachfolgende Bewältigung nicht, so kann sich der Ärgerstress stabilisieren und
chronifizieren, was über längere Zeit hinweg Ausdruck in körperlichen
Erkrankungen finden kann.
Entsprechend dieser Ärgerphasen beinhaltet das STAXI 44
Items, welche fünf Skalen und zwei Zusatzskalen bilden. Auf der Ebene der
Ärgererscheinungsweisen erfasst die Ärger-Zustandsskala
(„State-Anger“ S-A, 10 Items) die Intensität des subjektiven Ärgerzustands
zu einem bestimmten Zeitpunkt bzw. in einer definierten Situation. Die Ärger-Dispostionsskala („Trait-Anger“
T-A, 10 Items)bezieht sich auf die Ärgerauslösebedingungen, und damit auf die
interindividuelle Bereitschaft auf ärgerprovozierende Ereignisse mit erhöhtem
Ärger zu reagieren. Zwei Zusatzskalen sind innerhalb dieser Skala zu verwenden,
nämlich die Ärger-Temperaments-Skala
(„angry temperament“ TA/T, 5 Items) und die Ärger-Reaktions-Skala
(„angry reaction“ TA/R, 5 Items), wobei mit ersterer die allgemeine
Ärgerneigung, mit zweiter die Äußerung von Ärger bei Kritik oder unfairer
Behandlung gemessen wird. Betreffend die Ärgerverarbeitung werden drei
verschiedene Verhaltensweisen mit unterschiedlichen Skalen gemessen. Die
Häufigkeit des unterdrückten bzw. nicht nach außen abreagierten Ärgers wird mit
Hilfe der Skala zur Erfassung von nach innen gerichtetem Ärger („Anger-in“ AI,
8 Items) gemessen, die Skala zur Erfassung von nach außen gerichtetem Ärger
(„Anger-out“ AO, 8 Items) erfasst die Häufigkeit der offenen Ärgerreaktionen
gegenüber Personen oder Objekten und die Ärger-Kontroll-Skala („Anger Control“
AC, 8 Items)soll die Häufigkeit der versucht kontrollierten bzw. nicht
aufkommen lassenden ärgerlichen Gefühle indizieren.
Über die Testdurchführung sei hier nicht allzu viel
erwähnt: der Bogen ist relativ kurz, und das Prozedere am besten anhand der
ausgegebenen Exemplare zu erklären…
Bei der Auswertung des STAXI wird folgendermaßen
vorgegangen: nachdem in allen drei Teilen die verschiedenen Items zur
Selbstbeschreibung von 1-4 („fast nie“ bis „fast immer“ bzw. „überhaupt nicht“
bis „sehr“) zu bewerten sind, werden die Punktwerte pro Item jeder Skala
addiert. Für S-A ist das die Summe der Items von Teil 1, für T-A die des
zweiten Teils, und für die Teilskalen gilt folgende Zuordnung der Item-Nummern:
Eine Person weist eine hohe Ärgerausprägung auf, wenn sie
hohe Skalenwerte hat. Um diese interindividuellen Aussagen tätigen zu können,
kann auf Standardwerte der vier dispositionellen Skalen zurückgegriffen werden.
Zusätzlich zu den Normtabellen der Gesamtstichproben, gibt es auch Werte für
differenziertere Teilstichproben, und zwar nach Alter (14-30a, 31-49a und 50+a)
und Geschlecht. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, sollte die
Interpretation der Ergebnisse nur durch ausgebildete PsychologInnen passieren,
doch grundsätzlich gibt es folgende Hinweise für die Interpretation von hohen
Werten bei den jeweiligen der STAXI-Skalen (Hodapp, Schwenkmezger,
&Spielberger, 1992. S.25):
Auf
einige weitere Interpretationshilfen und Einschränkungen soll im Referat kurz
hingewiesen werden.
Anschließend
an die theoretischen Erklärungen zum STAXI sollen, wie bereits erwähnt,
Exemplare an alle KollegInnen verteilt werden und bei Interesse auch
beantwortet, sowie diskutiert werden.
Hodapp, V., Schwenkmezger, P.&Spielberger, C.D.(
2004): Das
State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar STAXI. Verlag Hans Huber, Bern Göttingen
Toronto.
Immenroth,
M.&Joest, K. (2004)Psychologie des Ärgers. Ursachen und Folgen für
Gesundheit und Leistung. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart. S. 55-62
Otten, S. & Mummendey, A. Sozialpsychologische Theorien
aggressiven Verhaltens. In: Frey, D. & Irle, M. (Hrsg.) (2002) Sozialpsychologie. Band II: Gruppen-,
Interaktions- und Lerntheorien. Huber,
Bern. S.198-216
Weber, H. Ärger und Aggression.
Zeitschrift für Sozialpsychologie, 30 (2/3), 1999, S.139-150 In: Immenroth, M.&Joest, K.(2004): Psychologie des
Ärgers. Ursachen und Folgen für Gesundheit und Leistung. Verlag W.
Kohlhammer, Stuttgart.